Was würden die Schwestern jetzt dazu sagen?
Dr. Christoph Kürzeder, promovierter Theologe und Volkskundler, ist seit dem Jahr 2012 Direktor des Diözesanmuseums Freising. Nach der Übernahme des Kloster Beuerberg durch das Erzbistum München und Freising hatte er zunächst die Aufgabe, das Inventar des Klosters zu dokumentieren (2014) und eine Ausstellung mit dem Titel Klausur zu realisieren (2016). Heute, fünf Jahre und fünf Ausstellungen später, ist Beuerberg für ihn zu einem ganz besonderen Projekt geworden. Im Interview lässt er uns daran teilhaben, wie man ein umgenutztes Kloster als prägenden Ort erhalten kann und welche Leitsätze dabei wichtig sind. Bei unserem Interview im Refektorium des Klosters haben bestimmt auch die Ordensgründer Franz von Sales und Johanna Franziska von Chantal, deren Porträts dort hängen, ganz genau zugehört.
Waren Sie persönlich mit in die Überlegungen eingebunden, dass die Erzdiözese München und Freising das Kloster Beuerberg erwerben möchte?
Das war eine sehr spontane Entscheidung des damaligen Generalvikars, der erkannt hat, dass Klöster und vor allem auch das Kloster Beuerberg mit seiner 900-jährigen Geschichte Landmarken sind. Mit Landmarke meine ich, dass Klöster in der Vergangenheit eine prägende Kraft entwickelt haben. Sie waren nicht nur in der Religion, im Glauben und in der Liturgie, sondern auch im sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, künstlerischen und bildenden Bereich treibende Orte. Hier im Kloster Beuerberg betrieben die Salesianerinnen – trotz ihrer Klausur und Kontemplation – bis 1934 eine höhere Mädchenschule und machten das Kloster zu einer Keimzelle, die über den Ort und die Region hinaus strahlte. Die Salesianerinnen waren eine Ordensgemeinschaft, die im 19. Jahrhundert schnell gewachsen ist. Da ihr Kloster in Dietramszell bereits viel zu klein war, gründeten sie hier in Beuerberg ab 1846 eine Filiale. Zuvor hatten die Augustiner Chorherren seit der Klostergründung 1121 bis zur Säkularisation 1803 die gesamte Region geprägt.
Wie kam es dazu, dass das Diözesanmuseum Freising hier ein vorübergehendes Zuhause gefunden hat und die Geschichte des Ortes für seine Ausstellungen aufgreift?
Unser Stammhaus auf dem Domberg in Freising ist seit 2013 geschlossen, da es renovierungsbedürftig war. Nach einigen Gastspielen, unter anderem in der Kunsthalle München und in Venedig, haben wir uns auf den vorübergehenden Museumsstandort im Kloster Beuerberg fokussiert. Das ist aber nur ein Aspekt. Durch meine langjährige Tätigkeit in der Inventarisierung von Klöstern habe ich immer wieder erfahren, dass der Objektbestand in Klöstern nicht nur als materieller Wert zu sehen ist, sondern vor allem als ideelles und damit auch als sprechendes Zeugnis für die Geschichte der Klöster. In Beuerberg ist es durch den großen Objektbestand möglich, tief in die Vergangenheit einzutauchen. So einen unmittelbaren Einblick in die Historie kann man sich als Museumsmensch sonst nur wünschen. Wir haben dabei viele Gespräche mit Salesianerinnen geführt und echte Biografiearbeit geleistet, um verschiedene Fragen zu beleuchten, wie etwa zur Rolle der Frau in der Gesellschaft oder zur Einordnung einer Ordensgemeinschaft in den Kontext von Politik und Region.
Bei wem sehen Sie die Verantwortung dafür, das Erbe der Ordensgemeinschaften zu bewahren?
Das ist eine sehr komplexe Frage, auf die ich nur ansatzweise eingehen kann und auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Die Ordensgemeinschaften waren größtenteils unabhängig vom Verwaltungsapparat der Amtskirche, auch wenn sie teilweise den Diözesen unterstehen (Orden bischöflichen Rechts) und selbst die Kongregationen päpstlichen Rechts vom Bischof visitiert werden. Dennoch sind Klöster und Ordensgemeinschaften Einheiten, die agiler und unabhängiger agieren können. In der Geschichte waren sie trotzdem nicht gegen Konflikte mit der Politik oder der Amtskirche gefeit.
Der Apparat der Amtskirche ist natürlich träger, weil er ein viel größeres Territorium im Blick haben muss. So waren die Ordensgemeinschaften oftmals für die Kirche der Stachel im Fleisch, der wichtige Impulse gegeben hat. Andererseits gab die Amtskirche den Ordensgemeinschaften eine gewisse Sicherheit, die sie durch verschiedene politische Wirrungen und Nöte getragen hat. Die vielschichtigen Aspekte, warum Orden heute in dieser herausfordernden Lage sind, müssten noch gesondert bedacht werden, um ihre Frage nach der Verantwortung für das Erbe adäquat zu beantworten. Was ich für Beuerberg sagen kann ist, dass in Zeiten der Krise die Diözese eingesprungen ist und sich der Verantwortung stellt, das Erbe der Salesianerinnen zu bewahren.
Wie gelingt das konkret hier im Kloster Beuerberg?
Hier versuchen wir momentan, das Erbe mithilfe unserer Ausstellungen über das Leben und Wirken der ehemals ansässigen Ordensgemeinschaften zu transportieren. Natürlich könnte man erschrecken, wenn man darüber nachdenkt, dass das Kloster nun als Museum dient. Heißt das im Umkehrschluss, dass das Erbe der Ordensgemeinschaft schon ein funktionsloses Objekt geworden ist, das ausgestellt werden kann?
Das ist hier in Beuerberg von Anfang an anders gelaufen, da wir das Kloster als Subjekt und lebendigen Kosmos und Lebensraum sehen. Für uns ist es eben nicht nur ein großes Gebäude mit Inhalt. Wir sehen die Mauern und die schönen Außenflächen als vitale Räume, in denen ein Geist bewahrt ist. Das klingt esoterisch, aber das ist für mich der richtige Ansatz, damit wir den Geist eines Ortes als noch vorhanden erfassen können. Besucherinnen und Besucher sagen uns oft, dass sie das Gefühl haben, dass jederzeit eine Ordensschwester an ihnen vorbeigehen könnte. Von Beginn an war unsere Regel, uns ständig zu hinterfragen, auch beim Aus- und Umräumen: Was würden die Schwestern jetzt dazu sagen? Hiermit zeigen wir unseren hohen Respekt vor der Lebensleistung der Schwestern und dem Erbe der Ordensgemeinschaft.
Wie schaffen Sie es im Speziellen, das geistige Erbe der Salesianerinnen zu bewahren?
Für mich und mein Team strahlt dieser Ort immer noch die positive Grundstimmung der ehemaligen Bewohnerinnen aus. Ein Grund dafür ist, dass die Schwestern das Gebäude versöhnt übergeben haben und eben keine klassische Immobilienfirma den Zugriff erhalten hat. Beuerberg war ja schon auf dem besten Weg dorthin, auch so verwertet zu werden. Zum Glück hatte der Generalvikar, den ich schon erwähnt hatte, die Vision, diese Landmarke und christliche Keimzelle nicht aufzugeben.
Die Bewahrung des geistigen Erbes ist eine große Herausforderung, aber wir haben den Leitsatz „Aus der Substanz schöpfen“ verinnerlicht. Diesen Leitsatz wenden wir nicht nur auf das Materielle an, sondern auch auf das ideelle und geistige Erbe. Diese Substanz ist für uns extrem wertvoll und wir sehen das Kloster als einen über die Jahrhunderte gewachsenen Resonanzraum an, in dem viele Menschen ihr Leben ganz Gott geweiht haben. Diese Resonanz aufzunehmen und abzubilden, ist unser Ziel. Die sinnvollen Nachnutzungen kommen da fast von alleine. Deswegen wird es hier vorerst kein Meditations- oder Yogazentrum geben. Die Salesianerinnen waren zwar ein kontemplativer Orden, aber (fernöstliche) Meditation als Substanz ist hier nicht vorhanden. So verbiegt man nur das Erbe, da die Authentizität fehlt. Im Kloster Beuerberg findet sich beispielsweise eine jahrhundertealte Tradition des Chorgebets mit Texten, die in Gemeinschaft gebetet werden und eine tiefe Weisheit transportieren. Darüber könnte sich eine weitere Nachnutzung entwickeln.
Viele Menschen sind in der heutigen Zeit auf einer spirituellen Suche. Könnte man dieser Not durch die Weitergabe des spirituellen Erbes begegnen?
Wir sprechen hier ja von der Weitergabe einer Lebensqualität. Zum einen haben Ordensschwestern einen ganz persönlichen Sinn im Leben durch die Zuwendung zu Gott gefunden, zum anderen haben sie ganz konkret Nächstenliebe und Demut vor der Schöpfung praktiziert. Dabei spielten auch Leitfiguren wie der Ordensgründer Franz von Sales und die Ordensgründerin Johanna Franziska eine große Rolle. Diese Ideengeber, wie ich sie jetzt nenne, haben die Menschen ja über Jahrhunderte inspiriert. Wenn ich den Ordensgemeinschaften heute begegne, hat das oft noch eine gute menschliche Komponente. Allerdings ist die prägende Kraft, die so intensiv von den Orden ausgegangen ist, heute oft nicht mehr vorhanden. Nur: Wenn die Menschen fehlen, wer gibt dann das spirituelle Erbe weiter? Insofern kann das geistige Erbe auch über Ausstellungen, wie wir sie machen, weitergegeben werden. Tugend war der Titel einer vergangenen Ausstellung und im Jahr 2023 denken wir über eine weitere Ausstellung zum Thema Rituale nach. Wir haben jetzt eine Brückenfunktion, diese Orte zu erhalten. Denn auch zuvor war dieses Kloster bereits einmal 43 Jahre verlassen, und wer weiß, was in Zukunft passieren wird.
Klöster sind geschützte Orte und über Jahrhunderte bewahrt worden, genauso wie die Klosterflächen um das Gebäude. Das sind Orte, in denen wir noch ein kulturelles Gedächtnis haben. Deswegen ist für mich das Wichtigste, dass wir den Geist und die Substanz bewahren. Wenn Klöster leer fallen, wird oft mit eisernem Besen gekehrt und alles entsorgt. Dann könnte man sie aber gleich abreißen lassen, denn das Erbe und der Geist gehen dadurch komplett verloren. Lieber sollte man sich einmal zu viel als zu wenig die Frage stellen: Was würden die Schwestern jetzt dazu sagen?